Am 12.12.2019 haben Sarah Laubenstein (Kulturdirektorin), Tobias Knoblich (Kulturdezernet), Viviann Wilmot (Initiative Schwarze Menschen in Deutschland) und Urs Lindner (Decolonzie Erfurt) über den zukünftigen Umgang mit Erfurts kolonialem Erbe diskutiert. Die kleine Synagoge war voll (rund 70 Besucher*innen) und trotz erkennbarer Differenzen im Publikum war es ein insgesamt sehr positiver und konstruktiver Abend. Unser erinnerungspolitisches Fünf-Punkte-Programm für Erfurt ist auf viel Zustimmung gestoßen.
Im Folgenden unser Eingangsstatement, das auch das Programm enthält:
Der Kolonialismus ist neben NS und SED-Regime das dritte staatgewordene Mega-Unrecht der deutschen Geschichte. Hundert Jahre nach seinem offiziellen Ende hat in Erfurt die Aufarbeitung begonnen. Bundesweit waren es in den letzten vier Jahrzehnten vor allem afrodeutsche Initiativen, wie die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD), die die Aufarbeitung vorangetrieben haben, und ohne die wir heute nicht hier wären. Ich freue mich daher besonders, dass Viviann Wilmot mit auf dem Podium sitzt, um u.a. die ISD zu vertreten. Dank auch an Sarah Laubenstein und Tobias Knoblich, dass diese Veranstaltung zustande gekommen ist, sowie für die konstruktive Zusammenarbeit des letzten halben Jahres.
Kurz was zu Decolonize Erfurt: Wir sind eine zivilgesellschaftliche Initiative, die Erfurts Kolonialgeschichte aufarbeitet. Mitglieder der Initiative haben vor einem Jahr an der Universität ein Seminar organisiert, aus dem die Posterausstellung ’’Kolonialismus in Erfurt, 1503 bis heute’’ sowie ein dekolonialer Stadtrundgang hervorgegangen sind. Seit März gab es über zehn Stadtrundgänge sowie diverse Veranstaltungen. Gegenwärtig machen wir wieder ein Seminar an der Uni, das nun den nächsten Schritt geht, hin zu einer objektbasierten Ausstellung. Die Ausstellung ist noch bis 21.12. im Foyer der Unibibliothek zu sehen, diesmal mit drei Vitrinen, die wir bereits mit Objekten gefüllt haben. Wir sind nach wie vor auf der Suche nach kolonialen Objekten und Geschichten von Erfurter Bürger*innen. Fühlen Sie sich eingeladen.
Wir haben den Kolonialismus als Perspektive in die Stadtgeschichtsschreibung eingeführt. Seit März sind mehrere Forschungsarbeiten aus unserem Kreis entstanden: v.a. Charlotte Hoes‘ Masterarbeit zur Südseesammlung, die erste kolonialismuskritische Untersuchung der Sammlung. Aber auch kleinere Arbeiten wie von Isabella Schwaderer zum Auftritt des indischen Menaka-Balletts im Jahr 1936 oder von mir zu Mdachi bin Sharifus kolonialismuskritischem Vortrag 1919 in Erfurt. Für die nächsten Jahre haben wir noch ziemlich viel in der Pipeline. Und wir entdecken ständig Neues. Zuletzt, dass auch das Usambaraveilchen Teil der Erfurter Kolonialgeschichte ist.
Vor welche Herausforderungen stellt der Kolonialismus die Erfurter Stadtgeschichtsschreibung? Erfurt muss in seinen globalen Verflechtungen betrachtet werden. Weg von einer Geschichte großer Männer, hin zu Akteuren, die in ungleichen Machtverhältnissen handeln. Vor allem darf der Kolonialismus nicht auf die Zeitspanne zwischen 1884 und 1919 reduziert werden. Er beginnt in Erfurt im Jahr 1503, als die Fugger eine Faktorei eröffnen und er prägt Erfurt bis heute.
Eine entscheidende Erblast des Kolonialismus ist der Rassismus. Wie damit umgehen? Diese Erblast verpflichtet die Stadt – so unsere These – auf einen antirassistischen Grundkonsens in ihrem Selbstverständnis und dessen konsequente Umsetzung in ihrem Handeln. Nur dann sind Demokratie, Diversität und Weltoffenheit keine hohlen Phrasen.
Ich möchte meinen Input damit schließen, dass ich ein erinnerungspolitisches Fünf-Punkte-Programm vorstelle, das ich in der Diskussion gerne weiter erläutere.
Punkt 1) Wir wollen, dass der Kolonialismus fester Bestandteil der musealen Repräsentation der Erfurter Stadtgeschichte wird. Wir haben das Herrn Knoblich und Frau Laubenstein bereits im Mai kommuniziert. Im Laufe des nächsten Jahres werden wir ihnen ein Konzept dazu vorlegen.
Punkt 2) Wir wollen historische Gerechtigkeit für die Südseesammlung. Für uns bedeutet das eine Rückgabe von Eigentumsrechten, von Entscheidungsmacht über die Zukunft der Sammlung, an die Herkunftsgemeinschaften. Auf dieser Grundlage ist dann vieles möglich.
Punkt 3) Rassismus ist auch dann nicht akzeptabel, wenn er seit vielen Jahren als Geschäftsidee betrieben wird. Ich rede hier vor allem von der Apotheke in der Schlösserstraße, ihrem Namen, der Figur im Schaufenster und dem Logo. Wir wollen, dass die Stadt Position bezieht gegen Rassismus in Erfurter Geschäften.
Punkt 4) In der Bahnhofstraße steht mit dem Burenhaus ein Gebäude, das an seiner Fassade die ideologischen und politischen Begründer der südafrikanischen Apartheid in ein positives Licht rückt. Wir wollen gegenüber dem Burenhaus eine Gedenktafel, die an Kolonialrassismus und Apartheid erinnert.
Punkt 5) Die Aufarbeitung des kolonialen Erbes muss sich auch in den Ehrungen niederschlagen, die die Stadt verleiht. Wir wollen eine Umbenennung des Nettelbeckufers in Gert-Schramm-Ufer. Schramm war ein afrodeutscher Überlebender von Buchenwald, der im Haus Nettelbeckufer 15 geboren wurde. Joachim Nettelbeck war jemand, der mit der Versklavung und Verschleppung Schwarzer Menschen reich geworden ist und sich auch noch als Koloniallobbyist betätigt hat. (Danke an Peter Reif-Spirek von der Landeszentrale, der uns auf diese Idee gebracht hat.) Wir wollen, dass die nächste neue Straße in Erfurt nach Willi Münzenberg benannt wird. Münzenberg war ein kommunistischer Reichstagsabgeordneter aus Erfurt und zentrale Figur im globalen Antikolonialismus der 1920er Jahre. Und wir wollen, dass die Stadt Schramm und Münzenberg in die Liste ihrer ’’Historischen Persönlichkeiten’’ aufnimmt.
Radio F.R.E.I. hat die Veranstaltung aufgezeichnet. Die folgenden Mitschnitte können auch in der Mediathek von Radio F.R.E.I. nachgehört werden.