„Menaka Indisches Ballett“: „Orientalische“ Spektakel auf deutschen Bühnen bis 1937

Dr. Isabella Schwaderer

Erstmalig veröffentlicht am 14.4.2019

Am 25.03.1936 trat im Reichshallentheater Erfurt (heute als ’’Stadtgarten’’ bekannt) eine aus vier Tänzerinnen und zwei Tänzern bestehende Tanzgruppe, begleitet von einem sechsköpfigen musikalischen Ensemble, auf. Eine Anzeige in der Thüringischen Allgemeinen Zeitung vom selben Tag versprach ein ’’besonderes Ereignis’’, ein ’’Indisches Ballett’’ mit ’’Indischem Orchester’’, ein ’’berauschendes Spiel der Glieder’’ und ’’Nie sahen wir solchen Tanz!’’.

Das damalige Reichshallentheater war zu dieser Zeit bereits eine Institution des Erfurter Unterhaltungsbetriebs. Das vormalige Hirschbrühl als Standort des heutigen Stadtgartens lag als Vorstadt außerhalb der Befestigungsanlagen der Altstadt. 1786 fanden erste Konzerte in den von den Besitzern kunstvoll verschönerten Gärten statt. 1796 erwarb der Schuhfabrikanten Vogel das Grundstück des heutigen Stadtgartens. Als ’’Vogelsgarten’’ wurde eine Lesegesellschaft mit Billard- und Gastrecht gegründet. 1838 fand eine erste Gartenbau- und Gewerbeschau im ’’Vogelsgarten’’ statt und 1860 wurde dort eine Tonhalle errichtet.Weiterhin genutzt für verschiedene Ausstellungs- und Freizeitaktivitäten, etwa am 18. Juli 1870 das große Thüringer Sängerbundfest, bis 1894 W. Hoffmann den ’’Vogelsgarten’’ erwarb. Nach Erweiterung des Musiksaals wurde das Reichshallentheater eröffnet. Hier fanden nun regelmäßige Konzerte, Theatervorstellungen, später Operette und kinematografische Aufführungen statt. 1932 ging der ’’Vogelsgarten’’ in Stadtbesitz über – als kommunales Wirtschaftsunternehmen ’’Reichshallen’’, damals Erfurts größter Konzert- und Konferenzsaal (1100 Sitzplätze). 1946 wurde schließlich der ’’Vogelsgarten’’ inklusive ’’Reichshallentheater’’ in ’’Stadtgarten’’ umbenannt.[1]

Als die Menaka Truppe Erfurt erreichte, schwamm sie auf einer Welle der Begeisterung für ’’orientalische’’ Spektakel aller Art mit. Dass in Deutschland Tänzer*innen spektakuläre Programme aus verschiedenen östlichen Traditionen vorstellten, begann um die Jahrhundertwende. Eine der Pionierinnen war Ruth St. Denis, eine wichtige Wegbereiterin des modernen Tanzes, die mit neuen Bewegungsformen und kreativen Selbstinszenierungen eine völlig neue Form des Bühnentanzes initialisierte. Viele ihrer Inspirationen holte sie sich aus unterschiedlichen Kulturen des ’’Orients’’, wobei ihr indisches Programm immer ein besonders beliebter Teil ihres Repertoires war, den sie immer wieder aufführte. Schon zu Beginn ihrer Karriere reiste sie aus den USA 1906 zu einer dreijährigen Europatournee, wo sie die künstlerische Avantgarde Deutschlands und Österreichs von sich überzeugte. Der Wiener Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal widmete ihr sein programmatisches Essay Die unvergleichliche Tänzerin (1906) und pries die sinnliche Schönheit, aber auch ihren hieratischen, geradezu überirdischen Stil, der ihren Aufführungen einen religiösen Charakter verlieh. Dies war natürlich sorgfältig geplant und inszeniert.

Orient, Tanz und Orientalismus in Deutschland um 1900

Das Programm, mit dem St. Denis durch Deutschland tourte, beschwor eine eindeutig indische, und dennoch uneindeutig mystische Traumlandschaft herauf. Damit traf sie den Nerv der Zeit.


Mata Hari bei ihrem Debut im Musée Guimet, Paris 1905

Berühmt für ihren ’’indischen Tempeltanz’’ war die zeitweilige Diplomatengattin und 1917 als angebliche Doppelagentin hingerichtete Mata Hari (1876–1917), die in Java, damals Niederländisch-Ostindien, gelebt hatte. Aus dieser Erfahrung konstruierte sie den Mythos ihrer eigenen Herkunft aus Indien, der zu ihrem Erfolg wesentlich beitrug. Mit dem Museum, das bis heute seinen Namen trägt, hatte der Industrielle und Sammler Émile Guimetin Paris einen Ort geschaffen, in dem ein verklärter Orient ausgestellt und somit in gewisser Weise habhaft gemacht wurde – mit der Einladung an die Tänzerin, dort aufzutreten und aus den Beständen der Sammlung ihr Kostüm zusammenzustellen, kam auch die Dimension der erotischen Faszination hinzu. Das Pariser Publikum war von ihrer Darbietung 1905, an deren Ende sie fast vollständig nackt auf der Bühne lag, hingerissen. Ihren Erfolg konnte sie in Wien und Berlin fortsetzen. Die sich auf der Bühne entschleiernde ’’Orientalin’’ bediente sämtliche Klischees westlicher Männerfantasien, aber eine Tänzerin in einer sinnlich-exotischen Choreografie mit farbenprächtigen Kostümen sprach angesichts der vorherrschenden Orientbegeisterung nicht nur Männer, sondern ebenso Frauen an.

Wo beginnt die Hochkultur? Die tanzende Priesterin


Theaterzettel Auftritt Weimar. Quelle: Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar: Generalintendanz des Deutschen Nationaltheaters und der Staatskapelle Weimar, Nr.2118, Blatt: 96

Für die Bühnen jenseits des Revuetheaters hatte Ruth St. Denis jedoch andere Maßstäbe gesetzt. Obwohl ihr Programm sich viel abgeschaut hatte vom Varieté und von Vaudeville Theatern, gelang es ihr mittels eines Kunstgriffs sich auf den großen Bühnen der ’’ernsten Unterhaltung’’ zu positionieren, nämlich durch die Verlagerung ihrer Kunst in die Sphäre der Religion. Interessanterweise war es ihr spektakulärer Nimbus als ’’Priesterin des Tanzes’’, der ihr sogar Ärger mit der Sittenpolizei Münchens ersparte. Diese ließ sich offenbar durch den spirituellen Charakter des Programms überzeugen, die Vorstellung nicht zu verbieten, nachdem die Beamten eingehend St. Denis‘ entblößte Taille ihres bauchfreien Kostüms in Augenschein genommen hatten.

Das Programm bestand aus einer ’’Weihrauch-Zeremonie’’, was den religiösen Rahmen setzte, dann orientalistische Szenen mit Schlangen und mit ’’Nautch’’, dem Tanz der Kurtisanen am Hof der Maharajas, Nawabs und Zamindars, umgesetzt als ’’Tempeltanz’’. Diesem unterhaltsamen Teil folgte der spirituelle mit ’’The Yogi’’ und ’’Radha’’. Insbesondere im Letzteren tanzte St. Denis selbst mit ihrem ’’eingeborenen Personal’’, wie der Theaterzettel verkündete, die Göttin vor ihren Verehrern, wo wiederum sie, die Weiße, sich von den indischen Ensemblemitgliedern – und vom Publikum – anbeten ließ. 

Aus dem ’’indischen’’ Repertoire der Ruth St. Denis die Choreographie ’’The Nautch’’

Kulturnation Indien: die Spiritualisierung der indischen Kunst als nationales Programm

Der große Erfolg der sinnlichen Indienspektakel, die St. Denis in Deutschland Berühmtheit und die Bewunderung von Künstlern und Intellektuellen wie Max Reinhardt und Harry Graf Kessler eintrugen, kam nicht aus dem Nichts. Schon länger war Indien Projektionsfläche auch für einen ’’positiven’’ Orientalismus, d.h. das Stigma der ’’primitiven’’ Kultur wurde ins Positive gewandt: Nicht mehr um Rückständigkeit gegenüber dem Westen ging es, sondern um eine ’’Ursprünglichkeit’’. Die von den Entwicklungen der Moderne unberührte Kultur hatte das bewahrt, was im romantischen Diskurs schmerzlich vermisst wurde: eine Authentizität, die Indien der Kultur der alten Griechen und der Offenbarung des Alten Testaments nicht nur ebenbürtig, sondern, je nach Einschätzung, sogar überlegen erscheinen ließ.

Eine zentrale Rolle in dieser Ausgestaltung hatte der amerikanische Kunsthistoriker, Philosoph und Mitbegründer der Traditionalist School, Ananda K. Coomaraswamy (1877–1947), gespielt. Die ’’Traditionalisten’’ formulierten eine Weltanschauung, die Philosophie/Metaphysik, Religion und Mystik/Esoterik verbindet und dezidiert anti-modern eingestellt war. Von Coomaraswmy stammte die Einschätzung, dass sämtliche Ausdrucksformen der indischen Künste einer tiefen Religiosität entsprangen und damit eine Dimension böten, die den europäischen Künsten spätestens seit der Renaissance und dem Humanismus abhandengekommen sei. Er war auch maßgeblich daran beteiligt, den Kult der Shiva Nataraja, des tanzenden Schöpfergottes, aus einer relativ kleinen südindischen Tradition zu einem nationalen Symbol Indiens zu machen.

Coomaraswamis Essay- Sammlung (1. Auflage New York 1918)

Er war es auch, der 1931 den jungen Tänzer Uday Shankar (1900–1977) auf einen Text aufmerksam machte, der bis heute als eine der zwei wichtigsten schriftlichen Grundlagen indischer Tanz- und Theaterkunst gilt: das Natyashastra. Dieser Text in Sanskrit, der zwischen 500 v. Chr. und 500 n. Chr. entstanden ist, reklamiert für sich selbst, das ’’fünfte Veda’’, also ein heiliger Text der hinduistischen Tradition zu sein. Mit der Berufung darauf sichert sich die im Kontext der Nationsbildung neu organisierte Tradition von Tanz und Theater einen Platz als identitätsformendes Element eines postkolonialen Indiens. Aus einer gesellschaftlich wenig geachteten Tätigkeit professioneller Unterhaltung, die bestimmten niedrigen Kasten vorbehalten war, wurde ein wichtiger Bestandteil künstlerischer Tradition, die von einer nationalen Elite als Wiederbelebung einer authentischen indischen Vergangenheit mitkonstruiert wurde. Dass mit der Betonung einer hinduistischen Basis der indischen Tanztradition zwangsläufig Marginalisierunsgprozesse einhergingen, etwa von muslimischen Musikern sowie Frauen und Trans*personen aus dem Bereich der Performance, die sukzessive verdrängt wurden, sei hier nur am Rande hingewiesen.

Uday Shankars Tournee durch Deutschland und die USA – authentischer indischer Tanz?

Neben und nach Ruth St. Denis hatten weitere Tänzerinnen nach neuen Ausdrucksformen außerhalb Europas gesucht – und gefunden. Anna Pavlova (1881–1931) Primaballerina russischer Herkunft, hatte in London den jungen Kunststudenten Uday Shankar ’’entdeckt’’ und ihn ermuntert, eine eigene Kunstform zu entwickeln, anstatt den Westen zu kopieren. Er wurde ihr Tanzpartner und machte in Deutschland eine erste Tournee 1931/32 mit indischem Orchester, protegiert und gemanagt von der Schweizer Bildhauerin und Malerin Alice Boner (1889–1981). Ihre Programmtexte stellten einen eindeutigen Bezug her zwischen indischem Tanz und ursprünglicher Religiosität. Diese bildeten dann auch den Bezugsrahmen, in denen Shankars Auftritte gesehen und bejubelt wurden.

Uday Shankar und Anna Pavlova im ’’Radha-Krishna’’ Ballett, ca 1922.

Uday Shankar entwickelte einen völlig eigenen Stil ’’indischen Tanzes’’, wobei er Elemente aus verschiedenen Tanztraditionen Indiens, Folklore und modernen westlichen Tanz zu einer faszinierenden Form verschmolz. Sein Schulprojekt ’’Almora’’ im Himalaya machte es sich zur Aufgabe, eine neue Generation von Tänzern in unterschiedlichen Disziplinen auszubilden, um ein Gesamtkunstwerk im Sinne des Literaturnobelpreisträgers Rabindranath Tagores zu erschaffen, der ihn in jungen Jahren sehr beeinflusst hatte. Für die Zuschauer in Deutschland und den USA blieb das auf der Bühne Gezeigte jedoch ein uralter Tanz und Ausdruck einer ursprünglichen Spiritualität.

Fernes Indien: Bilder einer zu zähmenden Welt

Insgesamt lässt sich feststellen, dass es im Deutschland des frühen 20. Jahrhunderts mehrere konkurrierende Bilder Indiens gab, die sich, sehr stark vereinfacht, auf zwei Haupttendenzen verdichten lassen: ein karnevaleskes Bild von Indien als Raum märchenhafter ’’orientalischer’’ Abenteuer einerseits, und ein mystisches Indien voller ursprünglicher Spiritualität auf der anderen Seite.

Karnevalesk bezeichnet dabei den gegenweltlichen Charakter einer anderen Welt, in der sich Elemente des Märchens und des Abenteuerromans mischen. Hier gibt es Schlangen und Tiger, lassen grausame Machthaber ihren Leidenschaften freien Lauf und ein kluger, ritterlicher westlicher Protagonist muss oft unterdrückte Frauen retten. Dieses bereits in der opera buffa entwickelte Muster ’’orientalischer’’ Abenteuer (Mozarts ’’Entführung aus dem Sérail’’ (1782) wie auch Rossinis ’’Italienerin in Algier’’ (1813) sind Beispiele dafür) setzt sich in der Populärkultur fort, wobei das Kino eine wichtige Rolle spielt. Der Erfolgsroman der Thea von Harbou ’’Das indische Grabmal’’ war eine Liebes- und Abenteuergeschichte um einen deutschen Architekten und seine Frau. Ein finsterer Maharadscha und eine Tänzerin, die vor der Hinrichtung gerettet werden musste, durften nicht fehlen. Indische Tempeltänzerinnen, auch Bayaderen genannt, geisterten durch Filme und Spektakel und verbanden dabei, mehr oder weniger verhüllt, Erotik mit Spiritualität.

Anna Pavlova als Nikija, die indische Tempeltänzerin (1902), in La Bayadère, romantisches Ballett von Marius Petipa, uraufgeführt in St. Petersburg 1877.

Darüber hinaus wurden die Rollen der ’’Orientalen’’ in besonderer Weise als ’’unterlegen’’ markiert: Hier trafen unterschiedliche psychologische Eigenschaften aufeinander, die eindeutig positiv oder negativ besetzt waren: Leidenschaft, Gewalt und Sinnlichkeit auf der Seite der Inder*innen, und andererseits, bei den ’’weißen’’ Protagonisten, Besonnenheit und das Bestreben, aber auch die Fähigkeit, die rohe Gewalt der ’’Orientalen’’ untereinander, insbesondere gegenüber den Frauen, einzudämmen. Das Muster ist hierbei immer gleich: Den Anderen werden Charaktereigenschaften zugesprochen, die moralisch, wenn nicht minderwertig, so zumindest rückständig kodiert sind. Die Neigung zur Leidenschaft gilt im europäischen Kontext als Teil weiblicher, also ’’unterlegener’’ Psychologie, während Triebunterdrückung und rational bestimmtes Handeln als Ausdruck einer männlichen Geschlechterkonstruktion gesehen werden können. Das Paradox des ’’unmännlichen Orientalen’’ wird in diesem Narrativ aufgelöst durch die ’’Bezähmung’’ des Wilden durch List oder pädagogische Maßnahmen, wenn der ’’Orientale’’ also sich von dem höheren moralischen Wert des westlichen Standpunktes überzeugen lässt. Diese ’’zivilisatorische Mission’’ deutscher Figuren in Fiktion und Film bezieht eindeutig Position für den Kolonialismus, der es den ’’rückständigen’’ und in gewisser Weise in einem ’’weiblichen’’ oder ’’kindlichen’’ psychologischen Stadium stecken gebliebenen Anderen ermöglicht, unter Anleitung an der überlegenen Zivilisation teilzuhaben. Die karnevaleske Konstruktion des indischen ’’Orients’’ als eines Gegenbildes zur Selbstvergewisserung trägt also eine Reihe der Züge, die Edward Saids Orientalismus charakterisieren.

Das ’’mystische Indien’’ ist ebenfalls eine Konstruktion, nur unter umgekehrten Vorzeichen. Hier spielen romantische Vorstellungen wie der des Johann Gottfried Herders (1744–1803) eine Rolle, der im ’’Volk’’ den Kitt sah, der die deutsche Kleinstaaterei zusammenhielt. Gemeinsame Sprache und Lebensart sollten die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft bestimmen. Das schloss ein, auch fremde Kulturen in ihrer Besonderheit zu schätzen.Durch eine romantisch verklärte (Wieder-)Entdeckung von Märchen und Mythologie verortet sich Deutschland in einer Reihe ’’ursprünglicher’’ Kulturen wie der antiken griechischen und der durch die noch junge Indologie und Sanskritforschung erst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts wirklich zugänglichen altindische Kultur. Das Studium des Sanskrits und der damit verwandten Kulturen hatte eine enge, wenn nicht sogar ursächliche Verbindung zur Erforschung der Herkunft des Germanischen, die leicht in rassische Kategorien umschwenken konnte. Dieses besondere, man könnte sagen, ethnografische und gleichzeitig heilsgeschichtlich relevante Interesse an einer indogermanischen ’’Ursprache’’ und einem möglicherweise ursprünglichen religiösen ’’Kern’’, der sich in den Upanischaden manifestiert haben soll und, sozusagen an der alttestamentlichen, jüdischen Tradition vorbei, direkt auf das Christentum eingewirkt haben könnte, stellt dann auch die möglichen Anschlüsse zu den rassischen Deutungen der Menaka Tanzauftritt eher.

Während gleichzeitig das Interesse an und das Wissen über die alten ’’Arier’’ wuchs, konnte auch eine Verdrängung und Herabstufung alter wie zeitgenössischer ’’semitischer’’ Kultur stattfinden. Dies wird beispielsweise sichtbar in einem von dem französischen Historiker und Orientalisten Ernest Renan (1823–1892) propagierten und später stark popularisierten Gegensatz zwischen den wüstenbewohnenden, mythenlosen ’’Semiten’’ und den mythenschaffenden ’’Ariern’’, denen ein intoleranter Monotheismus von eben diesen ’’fortschrittsfeindlichen Semiten’’ sozusagen ’’übergestülpt’’ worden sei. Diese Polemik richtete sich in gleicher Weise gegen Judentum und Islam und beeinflusste populäre Verbindungen von Rasse und Religion wie in den Werken des Schwiegersohns Richard Wagners, Houston Stewart Chamberlain (1855–1927). Dieser hatte den als ’’Hitlers Chefideologen’’ bezeichneten Alfred Rosenberg (1892–1946) stark geprägt, was in die Verirrungen des Letzteren von einer „Religion des Blutes“ mündete, die ein von ’’jüdischen Einflüssen’’ durchdrungenes Christentum ersetzen müsse.

Ein Niederschlag dieser extremen Positionen findet sich auch in einigen Theaterkritiken zu den Auftritten von Menakas Indischem Ballett. In dem Maße, wie dieses 1936 unter dem Gesichtspunkt künstlerischer Erfahrung und ethnologischen Erkenntnisgewinns betrachtet, während etwa die wegweisende Tänzerin Gret Palucca (1902–1993) im gleichen Jahr aufgrund ihrer halbjüdischen Herkunft davon ausgeschlossen werden konnte, wird erklärbar, wie gerade der hebräische Orient im Gegensatz zum indischen als fremd konstruiert wurde. Wie war es zu dieser Tournee gekommen?

Das Indische Ballett Menaka in Deutschland 1936-37:

Der indische Tanz hatte sich in der Mitte der 1930er-Jahre durch Tourneen berühmter Tanzkünstler*innen aus dem südasiatischen Raum zwar von seinem Image als Genre des Varietés und den damit verbundenen orientalistischen Klischees teilweise gelöst. Obwohl das kulturelle Bild Indiens inzwischen differenzierter geworden war, blieb der Tanz aber im Deutschland der 1930er-Jahre nicht frei von den Diskussionen um die immer stärker werdenden rassischen Diskriminierungen.

Der Impresario Ernst Krauss, der bereits Uday Shankar auf seiner ersten Deutschland-Tournee unter Vertrag hatte, brachte die Gruppe um die Tänzerin Menaka (a.k.a. Leyla Roy-Sokhey, 1899–1947) 1936 nach Deutschland,organisierte und betreute dort eine Tournee, während der, aufgrund großen Erfolges, zwischen 200 und 300 Konzerte in Deutschland, aber auch dem umliegende europäischen Ausland stattfanden. Dieses Indische Ballett mit seinen sechs Musikern trat bereits im Juli 1936 im Rahmen der Olympischen Spiele in Berlin bei den Tanzfestspielen neben internationalen Tänzerinnen, aber auch den deutschen Stars Gret Palucca und Mary Wigman auf. In gewisser Weise geadelt durch diese Anerkennung wurden diese Tänzerinnen und Tänzer durchaus als Avantgarde indischer Tanzkultur wahrgenommen, insbesondere dort, wo geübte Tanzkritiker*innen ihnen zusahen. Ankündigungen und Programmheft versuchten,verschiedenen Geschmacksrichtungen gerecht zu werden und kündigen Menaka einerseits als ’’Wegbereiterin für die Neugestaltung des indischen Tanzes’’ an. Mit der Reproduktion eines Textes von Alice Boner aus dem Zusammenhang der Auftritte Uday Shankars wenige Jahre zuvor wurde jedoch auch das Bild eines mystischen, spirituellen Indiens bedient, dessen tiefster Ausdruck der Tanz sei.

Menaka als Göttin der Morgenröte (Usha). Aus dem Programm des Indischen Balletts Menaka

In den stilisierten Studiofotos der Menaka, die im Programmheft zu sehen und offenbar auch Teil der Pressemappe waren, da sie auch in Zeitungsberichten über die Aufführungen auftauchen, sind die ästhetischen Anleihen bei den ersten ’’indischen’’ Tanzshows, wie etwa der von St. Denis, nicht zu übersehen. Orientalistische Muster, wie der Einsatz von prächtigen Kostümen und auffälligem Schmuck, werden bewusst bedient. Diese sind so spektakulär, dass sie sogar ausgestellt wurden, als die Truppe einmal länger in einer Stadt gastierte – was allerdings sehr selten vorkam, da oft jeder Abend mit einem Engagement belegt war. Wie das logistisch bewerkstelligt wurde, ist kaum nachvollziehbar.

Zwischen ’’ursprünglicher Spiritualität’’ und ’’völkischer Kunst’’

Bei St. Denis und den ’’indischen’’ Tanzaufführungen verschiedener europäischer Varietékünstlerinnen wurde die Tänze in der Regel von europäischen Ohren leicht zugänglichen Unterhaltungsmelodien oder klassischer Musik begleitet. Anders war dies sowohl bei Uday Shankar als auch bei Menaka und ihren Tänzer*innen, die mit indischen Musikern auf der Bühne auftraten. Die Zuschauer, oft aus den hintersten Winkeln der Provinz, wurden konfrontiert mit buchstäblich ’’unerhörter’’ Musik, was nicht selten Irritationen hervorrief. Wie Tonaufnahmen eines Konzerts in Hamburg zeigen, spielten die Musiker ihr klassisches nordindisches Repertoire durchsetzt mit Volksliedern für die stimmungsvollen und spielerischen Szenen aus dem indischen Alltagsleben. Die pantomimische Darstellung von Kindern, die Drachen steigen lassen, oder die Szene des Ehestreits eines Mannes mit seinen beiden Frauen mit anschließender Versöhnung kamen sehr gut an und wurden als anrührend empfunden.

Vielfach betonten die fast ausschließlich positiven Kritiken jedoch den kulturellen Abstand und die Unmöglichkeit eines echten Verstehens der dargestellten Kunst. Umso verblüffender erscheint heute die Offenheit der Rezensenten und des Publikums, die den Abend dennoch genießen konnten. Eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Kritikern ließ sich sogar zu wahren Begeisterungsstürmen hinreißen, priesen die Seelentiefe und die tiefe mystische Erfahrung des fremden Kunstwerks, die sich auf den Zuschauer übertrug.

Menakas Truppe bewegt sich also genau auf der Grenzlinie zwischen den beiden oben beschriebenen Indienbildern, dem karnevalesk-orientalistischen und dem mystisch-religiösen, und ihre Vermarktung bezieht ganz pragmatisch explizit beide mit ein – es ist also für alle Zuschauer ’’etwas dabei’’.

Ausschnitt aus dem ’’Tiger von Eschnapur’’: Indisches
Ballett und Musiker

Ein Höhepunkt neben der Teilnahme an den Tanzwettspielen im Rahmen der olympischen Spiele von 1936 in Berlin war sicherlich der Auftritt der Truppe in der gewaltigen UFA Produktion ’’Der Tiger von Eschnapur’’, dessen Drehbuch von Harbou und Fritz Lang auf dem oben genannten Erfolgsroman ’’Das indische Grabmal’’ beruhte. Hier haben wir auch die bisher einzigen Filmaufnahmen von den Tänzen des Indischen Balletts. Es ließ sich offenbar nahtlos einfügen in das orientalistische Spektakel des mehrfach verfilmten Stoffs. Andererseits betonen Theaterkritiken immer wieder die mystische Faszination, die von den Shows der Inder*innen ausging, ihre gelebte Mythologie und den völkischen Charakter ihrer Kunst.So waren die Auftritte der Menaka Truppe zumindest für den einen oder die andere offenbar mehr als exotische Unterhaltung. Der Erfurter Theaterkritiker, in dessen Ohren die Musik ’’eher eintönig, aber dennoch interessant’’ klang, leitete in seiner Rezension vom 27.03.1936 in der Thüringer Allgemeinen Zeitung eine ’’starke unmittelbare Wirkung her aus ihrer tänzerischen Persönlichkeit, die nicht nur nachahmend gestaltet’’, sondern ’’in der […] Ursprünge der indischen Tanzkultur […] wieder lebendig geworden sind.’’ Man kann einwenden, dass nicht nur Filme wie ’’Der Tiger von Eschnapur’’, sondern die gesamte Unterhaltungsindustrie einen ’’politikfreien’’ Raum erschufen, in den jede*r sich flüchten konnte, um den sich mehr und mehr verschärfenden politischen Eingriffen in die Freiheiten der Bürger*innen zu entkommen und um sich zu erholen. Jedoch ist auch dieser vordergründig ’’unschuldigen’’ Zeitvertreib durchsetzt von mehr oder weniger verschleierten ideologischen Grundsätzen, die letzten Endes für die rassistische Ausgrenzung und die Vernichtung der Juden und anderer Minderheiten verantwortlich waren. Somit war die Flucht in die märchenhafte Unterhaltung der Vorkriegszeit doch sehr eng verknüpft mit der Realität außerhalb der Theater und der Kinos. Die Bühnenstücke des Indischen Balletts bildeten hier keine Ausnahme. Wiewohl von den Künstlern nicht intendiert, fügte auch dieses sich ein in eine Kulturlandschaft, deren Vorstellungen von Mythologie und Religion ebenfalls von rassischen Diskriminierungen zutiefst geprägt waren und welche die Globalisierung und von Verflechtung von Deutschland und Indien begleiteten, deren Zeuge auch das Erfurter Publikum wurde.


[1]Vgl. Rothmann, Thomas, (2003),’’Ateliers Sta(dt)/t Garten – Über die Transformation eines Kulturortes’’, Freie wissenschaftliche Arbeit an der Bauhaus-Universität Weimar Professur Bauformenlehre, unveröffentlichtes Manuskript)


Zur Autorin:

Dr. Isabella Schwaderer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Vergleichende Religionswissenschaft an der Universität Erfurt. Sie ist Teil des Künstlerkollektivs ZindaNaach, das die Menaka-Tournee durch Deutschland und Europa (religions-)historisch und künstlerisch aufarbeitet. Wenn ihr ihre beiden Töchter Zeit dazu lassen, widmet sie sich den klassischen indischen Tänzen Kathak und Odissi.