Theresa Adams und Daniela Billing
Erstmalig veröffentlicht am 15.3.2019
Das Erfurter Theater und die geschichtsträchtige Alte Oper waren in der jüngsten Vergangenheit mehrfach Schau(spiel)platz einer Praxis, deren Geschichte bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht und die seit geraumer Zeit weltweit von Kunstschaffenden, Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen als rassistisch kritisiert wird. In den Stücken Ot(h)ello von 2014 und Jim Knopf von 2018 spielten weiße Schauspieler*innen mit braun und schwarz bemalten Gesichtern und Händen schwarze Charaktere.

https://www.dasdie.de/veranstaltung/jim-knopf-lukas-lokomotivfuehrer.html, 11.03.2019
Blackfacing – Eine weit verbreitete Praxis
Solches Blackfacing ist allerdings nicht nur auf der Bühne und nicht nur in Erfurt anzutreffen. Zu denken ist hier etwa an die ursprünglich niederländischen Sinterklaas Prozessionen, die mittlerweile auch hierzulande, z.B. im holländischen Viertel Potsdams, zu sehen sind. Darin tritt auch der „dumme Knecht“, „Zwarte Piet“, auf. Er soll als Gegenstück zum heiligen, weißen Sankt Nikolaus das Böse personifizieren.[1] Ein anderes Beispiel, das besonders eindrücklich zeigt, dass Blackfacing eine Praxis ist, die sich durch alle sozialen Schichten zieht, sind die Karnevalsverkleidungen, in denen die braune oder schwarze Gesichtsbemalung Teil des „Kannibalen“ oder einfach des „Wilder-Mann“-Kostüms ist.


Seit geraumer Zeit lösen solche Darstellungen europaweit lautstarke Proteste aus. Trotzdem wird nicht von ihnen gelassen. Zu den Argumenten, die Menschen verschiedenster sozialer Herkunft und parteipolitischer Affiliationen anführen, um sie zu verteidigen und an ihnen festzuhalten, gehört, dass es sich dabei um „Traditionen“ handele. Damit wird nicht nur der grundsätzlich „erfundene“ Charakter von „Tradition“[2] und deren Wandelbarkeit außer Acht gelassen, sondern auch der einfache Umstand, dass nicht alle Traditionen gut und daher bewahrenswert sind. Vor allem aber setzen derartige Verteidigungen voraus, dass Blackfacing harmlos und nicht rassistisch sei, weil es nicht rassistisch gemeint sei. Kräfte, die es „verbieten“ wollen, seien Ausdruck einer Gesellschaft, in der immer alles „politisch korrekt“ sein müsse und „man nichts mehr sagen oder machen“ dürfe.[3] Dass dieses Argumentationsmuster, mit dem für das ‚Recht auf Blackfacing’ gekämpft wird, auf vielen Ebenen hinkt, ist offensichtlich. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass Blackfacing alles andere als harmlos ist.
Eine Geschichte der Gewalt…
Der wohl am besten erforschte Herkunftsstrang der Blackfacing-Praxis, insbesondere ihres Einsatzes auf der Bühne, sind die US-amerikanischen „Minstrel“-Shows des 19. Jahrhunderts. Darin traten Charaktere auf, die mit Hilfe von Bühnenfarbe und Kleidung den rassistischen Stereotypen versklavter Menschen nachempfunden waren und als ewig gut gelaunte und musizierende „Trottel“ ihr weißes Publikum belustigen sollten. Die Blackfacing-Maskerade der Minstrel breitete sich durch das amerikanische Vorbild in mehreren Ländern aus und gelangte schließlich um die Jahrhundertwende auch an die deutschen Theater-, Varieté- und Zirkusbühnen, wo sie sich großer Beliebtheit erfreute.[4]
Die bekannteste Minstrel-Figur ist der im 1829 vom weißen Komiker Thomas „Daddy“ Rice geschaffene Jim Crow.[5] Er stellte ein „in Lumpen gehüllten, ungebildeten Plantagensklaven [dar], der als Trinker und Aufschneider nicht ernst genommen (zu) werden brauchte.“[6] Der Name Jim Crow wurde im 20. Jahrhundert zu einem Begriff, der das Apartheidregime der US-amerikanischen Südstaaten bzw. die Kräfte bezeichnete, die sie aufrecht erhielten.
Jim Crow und die anderen Minstrel-Figuren wurden – wegen ihrer „Boshaftigkeit“ und der sie begleitenden „Dümmlichkeit“ – einerseits als verachtenswert und unterlegen dargestellt. Gleichzeitig erschienen sie als mit ihrer Lebenssituation – ihrer Ausbeutung auf den Plantagen und in den Haushalten des US-amerikanischen Südens – zufrieden und sich ihr nicht zu widersetzen. Damit wurden rassistische Zuschreibungen reproduziert und durch die große Beliebtheit der Mistrel-Shows tief in der amerikanischen Popkultur und den Denkmustern der Bevölkerung verankert, die Befürworter*innen der Sklaverei immer wieder anführten, um diese zu rechtfertigen.[7]
Während der konkrete Unrechtskontext, in dem das Blackfacing die Gewalt an schwarzen Menschen legitimieren sollte, derjenige der US-amerikanischen Sklaverei war, reichen die zugrundeliegenden Stereotypen noch weiter (zurück). Sie leiteten seit dem 18. Jahrhundert die massenhafte Ermordung, Verschleppung und Ausbeutung von Schwarzen an, aber auch von anderen nicht-weißen Menschen im transatlantischen Handel, in der karibischen Plantagenwirtschaft aber auch in den kolonialen Herrschaftssystemen des 19. und 20. Jahrhunderts in den europäisch und nordamerikanisch besetzten Gebieten auf allen fünf Kontinenten.
…und ihre Fortsetzung in der Gegenwart
Vor diesem historischen Hintergrund, der immer mitschwingt, wenn heute weiße Menschen im Namen von Tradition, Kunst oder schlicht Spaß darauf beharren, mit schwarz oder braun geschminkten Gesichtern schwarze Figuren und Klischees zu spielen, ist die Aussage, dass dieses Spiel unschuldig sei, nicht haltbar.
Aber es ist nicht nur die Geschichte des Blackfacing, die dieses auch dann rassistisch macht, wenn es „nicht rassistisch gemeint“ ist. Vielmehr ist es so, dass die stereotypen Vorstellungen davon, wie schwarze Menschen angeblich sind, noch heute weltweit ins Feld geführt werden, um ihnen einen Status als Gleiche zu verwehren und ihnen Gewalt anzutun.[8] Auch heute noch hält sich die irrige Annahme, es gäbe eine Entsprechung zwischen phänotypischen Erscheinungsformen und gewissen – eben positiv oder negativ – besetzten Wesensmerkmalen, deswegen so hartnäckig, weil sie fortgesetzt wiederholt wird, auch in vermeintlich harmlosen Aufführungen.
Schließlich ist auch zu bedenken, welchen Effekt Blackfacing für die gewissermaßen unmittelbar Betroffenen haben kann. Erstens hat es insbesondere auf schwarze Menschen, die unfreiwillig damit konfrontiert werden, eine Wirkung, die durchaus mit derjenigen von Hatespeech vergleichbar ist. Es handelt sich um eine Form der Gewalt, die nicht physisch, sondern verbal bzw. eben bildhaft ist und die verletzt, herabsetzt und entwürdigt.[9] Darüber hinaus versperrt im Hochkultur-Bereich das Blackfacing Schwarzen Schauspieler*innen den Zugang zur Arbeit am Theater.[10] Aktivist*innen von Verbänden wie Bühnenwatch[11] oder Lable Noir[12] betonen, dass es auch aus diesem Grund wichtig ist, auf die rassistischen Strukturen an (deutschen) Theatern aufmerksam zu machen.

https://en.wikipedia.org/wiki/Othello#/media/File:Paul_Robeson_as_Othello.jpg, 11.03.2019
Es ginge auch anders
Dass es selbst bei historischen Stücken möglich ist, mit der „Tradition“ des Blackfacing zu brechen, hat jüngst eine Othello-Inszenierung von Nina Gühlstorff am Deutschen Nationaltheater Weimar gezeigt.
Diese Inszenierung hat bei Kritiker*innen Lob geerntet. Sie stieß aber auch auf Ablehnung. So schrieb etwa Wolfgang Hirsch in der Thüringer Allgemeinen Zeitung, Gühlstorff reihe sich ein „in die leidige Debatte politisch korrekter Theatermacher, die schon das ‚Blackpainting’ als Form der Diskriminierung erkennen; dabei wird missachtet, dass Theater grundsätzlich nur ‚spielt’ – das heißt: Als-ob-Situationen erzeugt – und sich dazu erdenklicher Scheinbarkeiten mittels Maske, Kostümen, Kulissen bedient.“[13]
Der Autor, der sich auch daran stört, dass die Regisseurin versucht, „feministisch engagiert“ „dem Shakespeare‘schen Stoff eine andere, neuartige Lesart aufzupfropfen“, führt hier einmal mehr den Kampfbegriff der „politischen Korrektheit“ an.[14] Solche Lesearten, die unter anderem auch die Erkenntnisse über den Zusammenhang von Darstellung und Wirklichkeit ignorieren, die in der kulturtheoretischen Forschung seit bald 100 Jahren „Tradition“ sind, können sich gerade auch deswegen so hartnäckig halten, weil sie über viel gelesenen Informationsmedien eine breite Leserschaft erreichen. Dadurch formieren sie fortgesetzt auch die Seh-Erwartungen von Theaterbesucher*innen mit. Gerade die Tatsache, dass es aufgrund solcher (auch medialer) Dynamiken so schwierig ist, die destruktiven Funktionsweise rassistischer Aufführungspraktiken auszuhebeln, zeigt, wie wenig harmlos sie sind. Und wie wichtig es ist, sich ihnen entgegenzustellen.
[1] Blakely 2000: 45.
[2] Siehe zum „erfundenen“ Charakter von „Traditionen“: Hobsbawm/Ranger 2010.
[3] Chong/Levy 2018: 198f.
[4] Gerstner 2017: 4.
[5] Rehin 1975: 684.
[6] Gerstner 2017: 72.
[7] Rehin 1975: 685.
[8] Zu den gesellschaftlichen Bereichen, in denen rassistische Stereotype gerade auch innerhalb europäischer oder nordamerikanischer Gesellschaften ihre destruktive Wirkung auf einer ganz physischen Eben entfalten, gehört z.B. das Gesundheitswesen. (Gee/Ford 2011) Theoretisiert hat die Problematik von Stereotypen bereits 1922 Walter Lippmann. Er schrieb: „Meist sehen wir nicht erst, und definieren dann, sondern wir definieren erst und sehen dann. In der großen, blühenden, dröhnenden Verwirrung der Außenwelt, wählen wir aus, was unsere Kultur schon für uns definiert hat, und wir neigen dazu, unsere Auswahl in der Form wahrzunehmen, wie die Stereotype unserer Kultur es vorschreiben. (Lippmann 1998: 81)
[9] Butler 2013.
[10] Cherrat 2017.
[11] Online unter: http://buehnenwatch.com/, 02.01.2019
[12] Online unter: https://www.labelnoir.net/, 02.01.2019
[13] Hirsch 22.05.2017.
[14] Hirsch 22.05.2017.
Literaturverzeichnis
Quellen
Hirsch, Wolfgang (22.05.2017): Verdis Otello am DNT Weimar sorgt für Diskussionen, in: Thüringer Allgemeine vom 22. Mai 2017 https://www.thueringer-allgemeine.de/web/zgt/kultur/detail/-/specific/Verdis-Otello-am-DNT-Weimar-sorgt-fuer-Diskussionen-104499385 — letzter Zugriff: 12.02.2019.
Forschungsliteratur
Blakely, Allison (2000): Blacks in the Dutch world. The evolution of racial imagery in a modern society. Indiana Univ. Press, Bloomington.
Butler, Judith (2013): Excitable Speech. A Politics of the Performative. Taylor and Francis, Hoboken.
Cherrat, Nissma (2017): Mätresse – Wahnsinnige – Hure: SchauspielerInnen am deutschsprachigen Theater, in: Maureen Maisha Eggers / Grada Kilomba / Peggy Piesche / Susan Arndt (Hg.), Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland, 3. Aufl., Münster, S. 206–220.
Chong, Dennis / Levy, Morris (2018): Competing Norms of Free Expression and Political Tolerance, in: Social Research: An International Quarterly 85 (1/2018), S. 197–227.
Gee, Gilbert C. / Ford, Chandra L. (2011): STRUCTURAL RACISM AND HEALTH INEQUITIES: Old Issues, New Directions, in: Du Bois review : social science research on race 8 (1/2011), S. 115–132.
Gerstner, Frederike (2017): Inszenierte Inbesitznahme: Blackface und Minstrelsy in Berlin um 1900, Mainz.
Hobsbawm, Eric J. / Ranger, Terence O. (Hg.) (2010): The invention of tradition, 19. Aufl. Cambridge Univ. Pr, Cambridge.
Lippmann, Walter (1998): Public opinion, 2. Aufl. Transaction Publishers, New Brunswick, N.J.
Rehin, George F. (1975): Harlequin Jim Crow: Continuity and Convergence in Blackface Clowning, in: The Journal of Popular Culture IX (3/1975), S. 682–701.
Weiterführende Literatur
Brendel, Gerd (2014): Rassismus am Theater – keine Rollen für schwarze Schauspieler? Beitrag für Deutschlandfunk Kultur.
Morrison, Toni (1993): Playing in the dark. Whiteness and the literary imagination, 1. Aufl., Vintage Books, New York.
Nelson, Todd D. (2009): Handbook of prejudice, stereotyping, and discrimination, Psychology Press, New York.
Sieg, Katrin (2002): Ethnic drag. Performing race, nation, sexuality in West Germany, Univ. of Michigan Press, Ann Arbor.
Warstat, Mathias (2017): Kategorienwechsel. Zur jüngeren Kritik an theaterwissenschaftlichen Körperkonzepten, in: Friedemann Kreuder / Ellen Koban / Hanna Voss (Hg.), Re/produktionsmaschine Kunst. Kategorisierungen des Körpers in den Darstellenden Künsten, transcript Verlag, Bielefeld, S. 15–29.