
Schluss mit der Angstpropaganda! Zu den tatsächlichen Kosten und Aufwänden einer Umbenennung des Erfurter Nettelbeckufers in Gert-Schramm-Ufer
In der Debatte um die Umbenennung des Erfurter Nettelbeckufers in Gert-Schramm-Ufer wird von den Gegner*innen der Umbenennung immer wieder auf vermeintliche Kosten und Aufwände verwiesen. Die AfD verkündet in einem Flyer, auf jede* Anwohner*in würden Kosten in Höhe von ca. 75 Euro zukommen. Der Vorsitzende der CDU-Stadtratsfraktion Michael Hose behauptet in der Thüringer Allgemeinen, Ausweise müssten kostenpflichtig geändert werden und spricht von „nicht unerheblichen“ Belastungen für alle Anlieger*innen. Schließlich warnen zwei Anwohner*innen in einem Unterschriftenbrief an den OB vor einem „materiellen, finanziellen und physischen Aufwand“, der „einfach nicht zumutbar und auch nicht verhältnismäßig“ sei und führen u.a. notwendige Mitteilungen an die Stadtwerke, das Finanzamt oder Telekommunikationsunternehmen sowie Grundbuchänderungen an.
Dr. Urs Lindner von Decolonize Erfurt: „Wir denken, Politik sollte nicht auf Grundlage von Mutmaßungen, Gerüchten oder ‚alternativen Fakten‘ betrieben werden, sondern auf Basis von gesichertem Wissen. Nur so ist eine ernsthafte und sachliche Debatte möglich.“ Deshalb haben die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland und Decolonize Erfurt den Leiter der Straßennamenskommission und des Amtes für Geoinformation und Bodenordnung, Dr. Torben Stefani, um offizielle Auskunft gebeten.
Durch die Auskunft von Dr. Stefani, die hier dokumentiert ist, sehen die beiden Initiativen ihre bisherige Argumentation in dieser Frage bestätigt. Kosten und Aufwände bleiben für die Anwohner*innen überschaubar; sie sind als Beitrag zur Erinnerung an zwei Menschheitsverbrechen (Kolonialismus und NS) sowohl zumutbar als auch verhältnismäßig.
- Für die Stadt fallen an bezifferbaren Kosten für Straßenschilder circa 1.200 Euro an. Bei den hinzukommenden Äquivalenten für Arbeitsstunden ist unklar, ob sie überhaupt in den fünfstelligen Kostenbereich reichen. Falls ja, dürften sie im unteren fünfstelligen Bereich bleiben.
- Die durchschnittlichen Anwohner*innen müssen einmal zum Bürgeramt gehen, um die Adresse auf dem Personalausweis ändern zu lassen, und die Adressänderung individualisierten Kontakten mitteilen. Wenn sie Halter*innen eines Fahrzeuges sind, muss zusätzlich die Zulassungsbescheinigung geändert werden, wofür Gebühren in Höhe von 11,10 Euro anfallen. Anders als von Michael Hose behauptet, ist in Erfurt die Änderung im Personalausweis bei einer Straßenumbenennung kostenlos. Die Mitteilung der Adressänderung an große Versorger wie Stadtwerke, Telekom, Post, E.ON etc. bzw. an Behörden wie das Finanzamt oder die Agentur für Arbeit übernimmt die Stadt. Der Mitteilungsaufwand für die Anwohner*innen liegt damit deutlich unter demjenigen, der bei einem Umzug anfällt.
- Den Datenaustausch mit dem Grundbuchamt übernimmt ebenfalls die Stadt.
- Einzig für die wenigen Gewerbetreibenden am Nettelbeckufer sowie die Schule scheinen Kosten und Aufwände nicht klar absehbar.
Dr. Urs Lindner von Decolonize Erfurt: „Das Fazit der Auskunft von Dr. Stefani kann nur lauten: Schluss mit der Angstpropaganda! Für demokratische Akteure, die an Fakten interessiert sind, kann der Verweis auf Kosten und Aufwände spätestens jetzt nicht mehr als ernsthaftes Argument in der öffentlichen Debatte um die Umbenennung des Nettelbeckufers gelten.“ Sollten für die wenigen Gewerbetreibenden größere Belastungen entstehen, sei die Stadt mit einem Härtefallfonds gefragt, genauso wie bei speziellen Umständen von Anwohner*innen.