Angst vor der Öffentlichkeit? CDU & Co. sorgen für Verwirrung beim Thema Nettelbeckufer

Im April 2021 hat der Erfurter Stadtrat den Beschluss gefasst, einen Runden Tisch einzurichten, an dem Befürworter*innen und Gegner*innen der Umbenennung des Nettelbeckufers in Gert-Schramm-Ufer öffentlich miteinander diskutieren und gemeinsam nach Lösungsmöglichkeiten suchen. Im Herbst 2021 hat die Stadtverwaltung dann die Bürger*innen dazu eingeladen, sich für eine Teilnahme am Runden Tisch zu bewerben. Im März 2022 haben Bündnis 90/Die Grünen eine Anfrage an die Verwaltung gestellt, wann denn der Runde Tisch beginnen soll.

Nun haben die Erfurter CDU und die Fraktionsgemeinschaft von FDP, Freien Wählern und Piraten eine Beschlussvorlage für die nächste Stadtratssitzung eingereicht, mit der sie den Stadtratsbeschluss zum Runden Tisch vorerst aussetzen wollen. Stattdessen soll „ohne weitere Beteiligung der Öffentlichkeit“ ein von der Stadt moderiertes Gespräch zwischen von CDU & Co. handverlesenen Anwohner*innen und den beiden, die Umbenennung befürwortenden Initiativen stattfinden. Als Begründung für den Ausschluss der Öffentlichkeit wird zum einen die Pandemie angeführt: „Auf Grund der Corona-Pandemie war es und wird es auch in naher Zukunft sehr schwierig sein, den Beschluss der Drucksache 0051/21 umzusetzen.“ Zum anderen der Ukraine-Krieg: „Vor dem Hintergrund der grauenvollen Bilder aus dem Kriegsgebiet der Ukraine, erscheint die erneute Aufnahme einer öffentlichen Auseinandersetzung zur Umbenennung des Nettelbeckufers für die nächste Zeit als marginal und würde auch bei der Bevölkerung als politisch völlig deplatziert aufgefasst werden.“

Wir sind sowohl über den Vorschlag als auch über seine Begründung einigermaßen verwundert. Die Stadtverwaltung startet ein Beteiligungsformat, das in seiner Form an den demokratischen Aufbruch von 1989/90 erinnert, so dass sich die Frage stellt: Mit welchem Ziel wollen CDU & Co. die Öffentlichkeit vom Kompromissfindungsprozess ausschließen? Damit würden zum Beispiel auch all die anderen Bürger*innen, die sich für den Runden Tisch beworben haben und für die Umbenennungsidee offen sind, übergangen.

Fast noch abenteuerlicher ist die Begründung für dieses Manöver. Zum einen finden Sitzungen mit weit mehr Teilnehmer*innen zum Beispiel im Stadtrat selbst statt, und das öffentliche Leben geht wieder nahezu ohne Einschränkungen seinen Gang. Der Vorstoß von CDU und FDP verwundert insbesondere deshalb, weil beide Parteien im Landtag gegen weitere Schutzmaßnahmen gestimmt haben. Zum anderen scheinen CDU & Co. auch nicht verstanden zu haben, was in der Ukraine gerade passiert: Putins zunehmend faschistisches Imperium führt einen kolonialen Eroberungskrieg gegen die Ukraine. Und in diesem Zusammenhang soll es „marginal“ und „politisch völlig deplatziert“ sein, sich öffentlich mit der Erfurter Ehrung des Versklavungsoffiziers, Koloniallobbyisten, Nationalisten und Nazi-Propagandahelden Joachim Nettelbeck auseinanderzusetzen? Wenn es Lehren aus dem Ukrainekrieg gibt, dann gehört wohl auch die dazu, wie wichtig eine Beschäftigung mit Faschismus und Kolonialismus für die Gegenwart ist.

Uns ist weiterhin an einer öffentlichen Debatte zur Aufarbeitung des kolonialen Erbes Erfurts gelegen, und zwar gerade auch dort, wo es wie bei Nettelbeck Widerstände gibt. Ebenfalls wichtig ist uns das persönliche Gespräch mit Anwohner*innen des Nettelbeckufers, die eine Umbenennung in Gert-Schramm-Ufer nicht als Gewinn für die Stadt, sondern als Verlust betrachten. Für beide Anliegen hat der Stadtrat im April 2021 die sehr vernünftige Entscheidung getroffen, einen Runden Tisch einzurichten. Wir bitten CDU und FDP/Freie Wähler/Piraten das Fest der Demokratie, das der Runde Tisch darstellt, nicht mit abstrusen Beschlussvorlagen abzuwerten.

Decolonize Erfurt


Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s